GoWL Exclusiv

Der Blick zurück

von Andreas Fecke

Während der Fertigung eines Infos stieß ich beim Stöbern in alten Schachbüchern auf folgendes Textstück, daß auch für Go-Spieler recht interessant sein dürfte. Geschrieben hat es Eduard Lasker, ein 1885 in Berlin geborener Schach- und Gomeister, der allerdings einen Großteil seiner 97 Lebensjahre in den U.S.A. verbrachte. Wie es ihn dorthin verschlug und welche Rolle das Go dabei spielte, erzählt er in seinem Buch "Chess Secrets":

... Als ich nach 15 Semestern an der Universität schließlich meinen Abschluß erhielt, war es wieder Emanuel Lasker, der ohne eigenes Wissen meinen Lebensweg in völlig neue Bahnen lenkte.
Kurz nachdem ich ihn getroffen hatte (1907 in Berlin -A.), zeigte ich ihm das chinesische Spiel WEI-CHI, das in Japan, wo es zur größten Entfaltung gelangte, Go genannt wird. Seine Regeln hatten ein Freund und ich in einer Zeitschrift gefunden. Zu unserer Erheiterung wurde das Spiel als Konkurrent des Schach bezeichnet; aber bei einer genaueren Prüfung fanden wir dieses Urteil wohlbegründet und spielten Go bei jeder Gelegenheit.

Als Emanuel Lasker erfuhr, daß Go und Schach tatsächlich ebenbürtig seien, war auch er zuerst skeptisch. Nachdem er aber nur eine einzige Partie zwischen Max Lange und mir gesehen hatte, erkannte er die bemerkenswerten Möglichkeiten für tiefe strategische Manöver und taktische Einlagen, die Go trotz seiner einfachen Struktur enthält. Er wurde von diesem Spiel, das unentdeckte Welten von positionellem und kombinativen Spiel eröffnete, ungemein fasziniert und veranstaltete wöchentliche Go-Treffen in seinem Haus. Eines Abends wurden wir eingeladen, im japanischen Klub mit einem Go - Meister zu spielen. Obwohl Emanuel Lasker, sein Bruder Berthold und ich uns beraten sollten, wurde eine Vorgabe von neun Zügen vorgeschlagen - etwa eine Damenvorgabe im Schach. Lasker lachte und sagte, er glaube nicht, daß ihm irgendwer in der Welt eine solche Vorgabe geben könne, solange er genügend Zeit hätte, über seine Züge nachzudenken. Wir hatten einige Partien japanischer Meister nachgespielt und waren ziemlich sicher, die Gründe hinter ihrem Spiel verstanden zu haben. Aber unser Gegner lächelte nur und sagte, wir sollten es ihn einfach versuchen lassen. Und in der Tat wurde unser Vertrauen von Anfang an erschüttert: der japanische Meister beantwortete unsere tief angelegten Pläne, ohne jemals mehr als einen Sekundenbruchteil für seine Entgegnung zu benötigen. Um es kurz zu machen - er schlug uns vernichtend, und niemanden enttäuschte dies mehr als Emanuel Lasker.

Auf dem Heimweg schlug er vor, für einige Monate nach Japan zu gehen und sehr viel mit ihren Meistern zu spielen: "Die Japaner haben bisher keinen Mathematiker hervorgebracht, der mit unseren besten vergleichbar wäre. Ich bin überzeugt, daß wir sie letztendlich im Go schlagen können - es ist das ideale Spiel für einen mathematischen Verstand." Dieser Plan begeisterte mich. Aber wie konnte ich, der ich gerade meine erste Stelle als Projekt-Ingenieur bei AEG angetreten hatte, nach Fernost reisen? Ich dachte an die Reaktion meiner Mutter und meines Chefs, und mir wurde klar: um meinen Wechsel zu rechtfertigen, mußte ich eine kunstvollere Kombination ersinnen als jede, die auf einem Schach- oder Gobrett auftauchen könnte. Aber mit Hilfe eines teuflischen Planes, der dabei unschuldig genug wirkte, bekam ich die benötigten Zusagen.

Ich erzählte meinem Chef, daß die Chancen auf eine Beförderung gering sein, da so viele Ingenieure in der Berliner Geschäftsstelle der Firma arbeiteten und es unwahrscheinlich schien, daß ich in irgendeiner Beziehung besser sei als meine Kollegen. Daher würde ich gerne in eine kleinere Filiale versetzt werden, vorzugsweise im Ausland. Zum Beispiel Tokyo.

Mein Plan schien wunderbar zu funktionieren. Mein Boß, der natürlich nichts vom Go wußte, war sehr entgegenkommend und versprach, sich für mich beim Leiter der Auslandsabteilung einzusetzen. Aber da Englisch die Handelssprache der ganzen Welt war, beschäftigte die Firma in ihren ausländischen Niederlassungen nur Engländer oder Deutsche, die fließend Englisch sprachen. Ich verstand nicht ein Wort Englisch, schlug aber unerschrocken vor, zuerst zur Londoner Geschäftsstelle der Firma zu gehen, um dort Englisch zu lernen und in dieser Zeit ein nominelles Gehalt beziehen. Dieser Vorschlag wurde angenommen, und 1912 verließ ich Berlin, um in London zu leben und zu arbeiten. Aber meine fernöstlichen Pläne wurden zunichte gemacht als 1914 der Weltkrieg ausbrach. ...



Quelle: Go in Ostwestfalen-Lippe Nr. 60