EGC Tuchola 1995 |
Eine Woche Betriebsurlaub Anfang August ermöglichte mir die dritte Teilnahme an einem Europameisterschaftsturnier nach Terschelling '85 und Canterbury '92.
Die Fahrt mit der Bahn ging ab Bielefeld mit dem Ost-West-Express (Brüssel-Moskau) die Nacht durch bis Poznan (Posen) und von dort weiter auf der polnischen Fernverkehrslinie Richtung Gdansk
(Danzig) bis zum Umsteigebahnhof Laskowice (Pom.). Hier konnte ich die drei Stunden Aufenthalt gut gebrauchen, denn eine Fahrkarte für den Nahverkehrszug nach Tuchola war nur mit polnischer
Währung zu bekommen und eine Wechselstube gab es nicht. So mußte ich - mit Unterstützung einer deutsch sprechenden Polin - ein Taxi zur nächsten Stadt (Swiecie) nehmen, um dort
Sloty einzutauschen. Am frühen Nachmittag erreichte ich dann nach einer schönen Fahrt durch waldreiches Gebiet Tuchola, eine ruhige Kleinstadt (14.000 Einw.) mit recht hübschem
Ortskern. Obwohl einige Häuser den Putz gespart hatten, machte die Stadt durchaus keinen ärmlichen Eindruck, sondern wirkte eher "ganz normal". Tatsächlich hörte ich später
von einigen Go-Spielern, daß sich die wirtschaftlichen Verhältnisse augenscheinlich gebessert hätten in den letzten Jahren.
Der Go-Kongress war in der Forstschule ideal untergebracht. Ich ließ mir ein kleines Zimmer in einem Hotel vermitteln, das etwas außerhalb in einem Sportzentrum und ganz in der Nähe
eines kleinen Sees mit Badeanstalt lag. Wohnen und Essen waren unglaublich preisgünstig, das Zimmer (ohne Frühstück) keine 9,- DM pro Tag, die volle Verpflegung in der Schulcafeteria
8,- DM pro Tag. Die Mahlzeiten, insbesondere das Frühstück, entsprachen zwar nicht immer dem, was wir in Deutschländ gewöhnt sind, doch waren sie meistens ausgewogen
zusammengestellt.
Daß ich dennoch nicht recht glücklich war, lag einmal daran, daß gerade der Sportplatz neben dem Hotel eine neue Decke bekam und jeden morgen um 7 Uhr die Bulldozer angelassen
wurden. Zweitens hatte ich immer vormittags arge Probleme mit dem Verdauungssystem, so daß ich mir den Bus-Auflug nach Bromberg und Thorn am Mittwoch nicht zutraute und außerdem die
fünf Partien im Hauptturnier spätestens nach einer Stunde so schwach spielte, wie ich mich dann fühlte. Trotz meist guter Stellungen nach dem Fuseki reichte es so nur zu einem einzigen
- dazu noch glücklichen Punktgewinn. Am Nachmittag und Abend ging es besser, so daß ich in freien Partien ganz gut aussah, aber die zählten ja nicht . . .
Im Turnier traf ich auf Teilnehmer aus Tschechien, England, Schweden, den Niederlanden und Münster. Sonst hatte ich den meisten Kontakt zu Spielern aus dem UK und Holland. Helmut Weber und
Kirsten Hartmann waren gemeinsam mit dem Auto angereist. Während Helmut zu Beginn der zweiten Woche mit einigen Verlustpartien ein positives Ergebnis verpaßte, konnte Kirsten bis zur 8.
Runde ein tolles 6:2 vorlegen. In den letzten beiden Runden hatte sie gegen 4-Dan und 5-Dan keine Chance mehr, doch gehörte sie sicher zu den stärksten 1-Dan's im Turnier.
Insgesamt waren zwischen 330 bis (in der zweiten Woche) 370 Teilnehmer vom 7-Dan bis zum 30-Kyu dabei. Bei dem Super-Sommerwetter waren wir oft draußen, denn das Gelände bot mehrere
schöne Ecken mit Gras, Bäumen und Bänken. Nach dem Abendessen war immer reges Treiben in der Cafeteria und der kleinen Bar im Nebenraum. Hier konnte man jede Menge Go-Partner finden
oder den Profis Tozawa-sensei oder Saijo-sensei bei Analysen von Spitzenspielen über die Schulter sehen. Frau Hua spielte fast jeden Abend eine ganze Serie von Spielen - und
regelmäßig sahen die Amateure recht alt gegen sie aus.
In der Spitzengruppe des Hauptturniers bot von den deutschen Spielern Christoph Gerlach eine sehr starke Vorstellung. Nach dem Flop bei der Qualifikation zur DM war es für ihn natürlich
eine Genugtuung, daß er alle Gegner außer die starken Asiaten besiegen und mit 7:3 Punkten einen tollen vierten Platz belegen konnte. In der letzten Runde verlor er den den Kampf um den
dritten Platz gegen Sumikura Yasuyuki 7-Dan (JPN).
Europameisterin wurde die Titelverteidigerin Guo Juan aus den Niederlanden. Ihr stärkster Rivale war Miyakawa Wataru 6-Dan (FRA), der schon in Canterbury einen geteilten ersten Platz erreicht
hatte. Die entscheidende Partei konnte ich in der letzten Phase live miterleben.
Guo Juan 7d, NLD - Miyakawa Wataru 6d, FRA