»Deutsche Presse-Agentur«, 29.03.2003

Ein Comic begeistert Japans »Game-Boys« für klassisches Brettspiel

Tokio (dpa) - Japan ist im Westen als das Land der Videospiele bekannt. Ob Playstation, Poke-Monster oder Game-Boy - Japans Kinder scheinen vor flimmernden Bildschirmen in bunten Traumwelten aufzuwachsen, so der vorherrschende Eindruck. Auch der Grundschüler Kaito Okura ist so ein »Game-Boy«, doch sein neuestes Lieblingsspiel ist ganz anders als die vielen High-Tech-Produkte. In stiller Konzentration sitzt der Achtjährige stundenlang vor einem schlichten Spielbrett aus Holz, auf das er schwarze oder weiße Steine platziert. Er spielt Go, die japanische Variante des Schach.

Go boomt bei den japanischen Kindern. Auslöser für das neue Interesse an dem 4000 Jahre alten Spiel war ausgerechnet ein Produkt der modernen japanischen Massenmedien: der japanische Comic (Manga) »Hikaru no Go«. 20,5 Millionen Exemplare wurden davon bereits verkauft. Junge Japaner wie Kaito zeigen, dass sich Tradition und Gegenwart in Japan nicht ausschließen, sondern sogar voneinander profitieren können.

Wie seine Freunde kam auch Kaito durch den Manga zum Go-Spiel. »Ich mag Sai« sagt er. »Sai« ist einer der Helden aus »Hikaru no Go«. Der Comic handelt von den Abenteuern eines kleinen Jungen namens Hikaru, der durch die Go-Spiele mit verschiedenen Gegnern immer stärker wird. »Früher kamen vor allem Kinder, deren Eltern Go spielen. Jetzt sind viele Kinder hier, weil sie den Comic gelesen haben«, bestätigt eine Betreuerin der Japanischen Go-Akademie, wo Kaito zusammen mit vielen anderen Kindern von Profis Unterricht bekommt.

Die Teilnehmerzahl der Grund- und Mittelschüler bei der jährlichen Meisterschaft der Akademie hat sich zwischen 2001 und 2002 auf rund 5000 mehr als verdoppelt. Im ganzen Lande entstehen immer mehr »Hikaru no Go«-Schulen. Dort eifern die Kinder ihren Idolen aus dem Comic nach. Für den Helden des Mangas begann seine Go-Karriere mit dem Fund eines alten Go-Bretts, aus dem der Geist eines berühmten Go- Spielers auftauchte - ein Adliger, der vor 1000 Jahren gelebt hat. Dieser führt den Jungen immer weiter in die Welt des Go ein.

Tatsächlich erlebte das Spiel im klassischen Japan eine Blüte, nachdem es aus China zusammen mit der Schrift nach Japan gelangt war. In dem höfischen Roman »Die Erzählungen vom Prinzen Genji« von Murasaki Shikibu wird Go von den japanischen Adligen nicht nur als ein Spiel, sondern als eine hohe Kunst geschätzt.

»Für die Kinder ist Go ein spannendes neues Spiel«, erklärt ein Sprecher des Verlages Shueisha, bei dem der Manga »Hikaru no Go« erscheint. Das bedeutet aber nicht, dass Japans Kinder nun plötzlich keine Lust mehr auf ihr Hightech-Spielzeug haben. Auch Kaito hat seine Computerspiele nicht weggeworfen, nur weil er jetzt Go spielt: »Ich mag beides gleich«, sagt er.

Die Japanische Go-Akademie hofft, dass die neue Blüte des Go- Spiels eines Tages auch einmal Schüler hervorbringen wird, die die hohe Kunst des Go weitergeben: »Wir wollen professionelle Go-Spieler heranziehen«, sagt ein Sprecher. Auch die Verleger des Go-Comics sind überzeugt, dass der Boom zumindest vorerst weiter anhalten wird. Es gibt jetzt auch eine »Hikaru no Go»-Fernsehserie - und ein Videospiel.


© DGoB -  letzte Aktualisierung: 2003-04-01 20:22, webmaster@dgob.de