Das 3-Hirn beim Turnier in Paderborn

von Ingo Althöfer


Das 3-Hirn am Start

Das 3-Hirn besteht aus einem menschlichen Spieler und zwei verschiedenen Computer-Programmen. Ist das 3-Hirn am Zug, werden beide Programme gestartet und ihre Zugvorschläge ermittelt. Dann wählt der Mensch (das dritte Hirn) unter diesen Computer-Vorschlägen aus. Der Mensch darf die Computer nicht überstimmen - was sich besonders dann bemerkbar macht, wenn beide Programme denselben Zug vorschlagen. Beim Europäischen Go-Kongreß 2000 in Berlin-Strausberg waren die Reaktionen auf meine 3-Hirn-Präsentation durchweg positiv gewesen. So hatte ich Mut gefaßt und fragte bei Andreas Fecke an, ob das 3-Hirn beim Paderborner Turnier starten dürfe. Nach Rücksprache mit den anderen Organisatoren gab es grünes Licht. Eine Frage war, mit welcher Spielstärke das Mensch- Maschinen-Team fairerweise eingestuft werden sollte. Aufgrund einiger Erfahrungen hielt ich 8 Kyu für realistisch. Die Paderborner machten den Vorschlag, zur Absicherung dieser Einstufung während des Dickhut-Vortrags, also direkt vor Turnierbeginn, eine "Kalibrierungs-Partie" des 3-Hirns gegen einen menschlichen Spieler mit Ungefähr 8 Kyu spielen zu lassen.

Die"Paderborner Komponenten" im 3-Hirn

Das 3-Hirn trat in der Domstadt in folgender Besetzung an: "HandTalk" (Version Juni 1998) auf einem 233-MHz-Notebook, "Many Faces of Go 11.0-Beta" (Version Dezember 1999) auf einem 650-MHz-Celeron-Notebook, Ingo Althöfer (ungefähr 17 Kyu im Alleinspiel) als Auswähler unter den Vorschlägen der beiden Programme und als Bediener der Rechner. Jedes Programin lief auf seiner stärksten Stufe. HandTalk produzierte seine Zugvorschläge im Durchschnitt viel rascher als Many Faces, obwohl dieser auf einem etwa dreimal schnelleren Prozessor lief. So gab ich den Gegnerzug immer zuerst bei Many Faces und danach bei HandTalk ein, las dann den Vorschlag von HandTalk ab und wartete schließlich auf den Kandidatenzug von Many Faces. All dies und zusätzlich die Zug-Auswahl und Ausführung mußte ich bei laufender eigener Go-Uhr machen. Das war manchmal ein ganz schöner Streß, gerade auch wegen der nur 45 Minuten Gesamtzeit (+Byoyomi).

Die Kalibrierungspartie

Als kleines Problem stellte sich am Samstag heraus, daß "früh" morgens um zehn Uhr noch kein 8 Kyu anwesend war. So wurde es eine Kalibrierungspartie gegen den 1 Dan Martin Hershoff, der dem 3-Hirn 8 Steine Vorgabe gab. Die Partie wurde sehr knapp. Im Endspiel führte Martin mit etwa 4 Gebietspunkten, als er durch einen groben Fehler in Zug 233 eine lange tot gewesene Gruppe des 3-Hirns wiederbelebte. Direkt danach gab er auf. Der allgemeine Tenor war: "8 Kyu scheint für das 3-Hirn ganz gut zu passen."

Nicht genügend "Hoch-Kyus"

Leider gab es beim Turnier nicht so viele Teilnehmer, deren Rating in der Nähe von 8 Kyu lag. Am Start waren ein 4 Kyu, ein 5 Kyu, null 6 Kyus, null 7 Kyus, außer dem 3-Hirn zwei weitere 8 Kyus, zwei 9 Kyus, ein 16 Kyu und ein 18 Kyu. Dabei stellte Familie Rehberg mit Mutter Bettina (8 Kyu), Vater Uli (18 Kyu) und dem 11 jährigen Raphael (16 Kyu) ein beträchtliches Kontingent.

Die Partien des 3-Hirns

Runde 1

Mit Weiß ging es gegen Stefan Mertin (8 Kyu). Stefan hat etliche Berichte über Go und Computer-Go für die Zeitschrift "Computerschach & Spiele" geschrieben. Zur Zeit führt er privat ein Turnier zwischen etlichen Go-Prograrnmen durch. Auch daher ist er mit (den wenigen) Stärken und (den vielen) Schwächen der Programme recht gut vertraut. In der Partie erlangte Stefan bald Raumvorteil. Im Mittelspiel umschiffte er souverän eine etwas unklare Situationen und gewann am Ende ungefährdet und verdient mit 34 Punkten Vorsprung (gezählt ohne die 5 1/2 Komi). Ich hoffte auf einen etwas leichteren Gegner für die nächste Runde.

Runde 2

Von der Statur her wirkte Raphael Rehberg wie ein leichtes Opfer für das 3-Hirn. Der schmächtige Knirps mußte sich gewaltig über den Tisch recken, um mit seinen zierlichen Armen überhaupt die hinteren Teile des Brettes zu erreichen. Seine Züge waren aber alles andere als schmächtig. Wegen des nominellen Spielstärke -Unterschiedes (seine 16 Kyu mit einem Sieg in der ersten Runde gegen die 8 Kyu des 3-Hirns mit einer Startniederlage) erhielt Raphael fünf Vorgabe-Steine. Als 3-Hirn hatte ich zwar schon oft mit, aber noch nie gegen solch hohe Vorgabe gespielt. So quälte ich mich schrecklich ab in meinem Bemühen, auf dem Brett Verwicklungen zu schaffen und den Gegner zum Straucheln zu bringen. Raphael wehrte alle Störversuche souverän ab und schaukelte einen 48 Punkte-Vorsprung nach Haus. Soweit ich es beurteilen kann, sind die aktuellen Top-Go-Programme in erster Linie daraufhin getrimmt, mit Hilfe von Vorgabe gegen stärkere Gegner zu bestehen. (Mein Mitarbeiter Georg Snatzke: "Da wäre ich nicht so sicher.") Dies führt zu sehr zahmen und vorsichtigen Spielanlagen. Vorsichtiges Spiel ist aber natürlich wenig hilfreich, wenn man gegen eine Vorgabe antritt. In der ganzen Partie fand ich keine einzige Gelegenheit, in Raphaels Stellung Stunk zu machen...

Runde 3

Für Gegner Nr. 3 Heiko Tegtmeier (5 Kyu) hatte das Turnier ebenfalls mit zwei Nullen begonnen. Gegen sein motiviertes und sicheres Spiel hatte das 3 Hirn nicht den Hauch einer Chance und verlor mit 59 Punkten Gebietsdifferenz. Bei manchen sinnarmen Zügen des 3-Hirns war nicht klar, wer sich mehr ärgerte: Heiko über den schwachen Gegner oder ich über die deprimierenden Computer-Vorschläge. Als ich am späten Abend mit dieser 0:3-Packung nach Lage heimkehrte, meinte meine Frau Beate nur: "Du brauchst gar nicht zu sagen, wie das 3-Hirn gespielt hat. Man sieht es Dir an." Auch das noch.

Runde 4

Vater Uli Rehberg "stemmte am nächsten Morgen seine 18 Kyu dem 3-Hirn entgegen". Der Paderborner erhielt 6 Steine Vorgabe. Es lief zunächst nicht gut für mich. Die Vorschläge der Programme waren wieder zu passiv, und mir war nicht klar, wie ich den gegnerischen Startvorsprung aufholen sollte. Insgesamt war die Stellung aber viel zerklüfteter als am Vorabend gegen Sohn Raphael. In starker Zeitnot brach Uli dann tatsächlich ein: Eine große Gruppe des 3-Hirns war schon längere Zeit tot. Eines der Programme wollte immer wieder untaugliche Rettungsversuche machen. Diese klickte ich aber rigoros weg, d.h. ich wählte den jeweils anderen Zug. Bei Zug 170 erschien mir die Situation spieltaktisch dann günstiger. Der Gegner hatte von den ursprünglich 45 Minuten Bedenkzeit nur noch circa eine Minute vor dem Übergang ins Byoyomi. Da spielte ich endlich den wieder angebotenen (eigentlich untauglichen) Rettungsversuch. Uli übersah in seiner Eile die Pointe. Das 3-Hirn konnte seine vormals tote Gruppe retten und die Partie dann sicher zum Gewinn führen.

Runde 5

Zum Abschluß ging es gegen Steffen Wolff, einen 9 Kyu aus Gütersloh. Endlich also noch eine Partie ohne Vorgabe. Das 3-Hirn baute sich zu langsam auf, und der Gegner erreichte am Ende des Mittelspiels klare Überlegenheit. Beide Programme schätzten die eigene Stellung mit etwa minus vierzig Punkten ein. Doch mit Zug 208 beging Steffen einen Flüchtigkeitsfehler, durch den er zwei Gruppen und damit knapp neunzig Punkte einbüßte. Enttäuscht gab er wenige Züge später auf.

Zum Abschluß eine Schaupartie gegen einen 4 Dan

Das Turnier war fürs 3-Hirn beendet. Doch bis zur Siegerehrung würde es noch dauern, da einige Partien noch liefen. Vor dem Gebäude schnappten fertige Teilnehmer nach etwas frischer Herbstluft. Auch Michael Kretschinann, der 4 Dan aus Gütersloh, war dabei und erzählte, mit welchen Tricks er schon bei sehr hoher Vorgabe gegen Go-Programme gewonnen hätte (z.B. nach einiger Übung bei 7 Steinen Vorgabe auf dem 13x13-Brett). Seine Selbstsicherheit reizte mich, und ich forderte ihn zu einer ernsten Partie gegen das 3-Hirn um 100 DM Siegprärnie heraus. Dabei sollte die Maschine elf Steine Vorgabe erhalten (elf ist die numerisch gerechte Vorgabe, wenn ein 8 Kyu gegen einen 4 Dan antritt). Zu meiner freudigen Uberraschung nahm er den Fehdehandschuh auf, und wir vereinbarten eine Bedenkzeit von 60 Minuten pro Spieler und ein gemäßigtes Byoyomi. Die Umstehenden witterten ein Spektakel, und so war das Brett des sofort begonnenen Duells dicht umringt.

Vor Partiebeginn gingen die Prognosen weit auseinander. Während Achim Flammenkamp mich (und damit den Kopf des 3-Hirns) für übergeschnappt hielt, sah Georg Snatzke (1 Dan) die Aufgabe des 4 Dans für sehr schwer an. Sogar Franz-Josef Dickhut setzte sich in der ersten Partiephase neben mich und beobachtete, wie ich die Rechner bediente, welche Vorschläge die Programme machten, und was ich daraus auswählte. Es gab launige Kommentare der Kiebitze (um Michael Kretschmann etwas zu verunsichern?!). Im Mittelspiel kommentierte Michael einen ziemlich schwachen 3-Hirn-Zug mit der Bemerkung "Wenn ich das hier länger sehe, fange ich gleich selbst auch mit solchen Zügen an". Trockener Einwurf von Franz-Josef Dickhut: "Gleich erst?" und dröhnendes Lachen der Zuschauer. Aber der Gütersloher war da schon im Oberwasser. In der Folge tötete er eine große 3-Hirn-Gruppe und eliminierte außerdern ein schwarzes Moyo in der Brettmitte. Als ich bei Zug 176 schließlich aufgab, sahen die Rechner den Gegner bereits mit knapp vierzig Punkten in Vorteil.

Interessant war für mich ein Kommentar des Detmolders Peter Hagemann (1 Kyu) direkt nach Partieschluß. Peter hatte die ganze Zeit hinter mir gesessen und geschaut, was und wie ich aus den Rechnervorschlägen auswählte. Jetzt meinte er nur: "Ich als 3-Hirn-Koordinator hätte aus diesen Vorschlägen auch nicht viel mehr machen können."

Die Schaupartie Bild von der Schaupartie als SGF-Datei

in Diagrammen

Die Bilanz des 3-Hirns

Die Kalibrierungspartie gewonnen, im Turnier 2:3 gespielt, die Schaupartie verloren. Von den Punkten her war es also gar nicht so schlecht gelaufen. Allerdings hatte das 3-Hirn in sämtlichen Partien mit dem Rücken zur Wand gekämpft und die drei Siege nur aus schlechteren Stellungen heraus durch Gegnerfehler in den Partie-Schlußphasen erreicht. Mein vor allem moralischer "Sekundant" Georg Snatzke sah es nicht so negativ: "Das Konzentrations-Vermögen gegen Partieende macht einen Teil der Spielstärke aus, und die Programme haben nun mal keine Konditionsmängel. Ich halte die 8 Kyu als Spielstärke des 3-Hirns weiterhin für berechtigt." Der Vorteil des 3-Hirns gegenüber einfachen Programmen liegt darin, daß der Koordinator durch sein Auswählen besser in der Lage ist, ungeklärte Stellungen bis kurz vor Partieschluß im Unklaren zu halten und dadurch einen unkonzentrierten Gegner zu Flüchtigkeitsfehlern einzuladen. Georg Snatzke sieht es etwas anders: "Der Vorteil durch das Ausnutzen von Endspielfehlern ist meines Erachtens wesentlich wichtiger, und das gelingt auch ohne künstlich ungeklärt gehaltene Stellungen."

Ein Dankeschön an ...

... die Paderborner für die liebevolle Ausrichtung des Turniers und die Erlaubnis, als 3-Hirn starten zu dürfen. Die "normalen" Mitstreiter waren allesamt gegenüber dem 3-Hirn aufgeschlossen. Schließlich geht ein Dank an David Fotland in Kalifornien, der mir den Einsatz seiner "Many-Faces"-Beta-Version in Paderborn erlaubte.

Referenzen



(2001) Peter Hagemann, Quelle: DGoZ Nov./Dez. 2000